Ein Schauspieler, der die Maienblüte seiner wichtigsten Rolle um Jahrzehnte überlebt, heißt, wenn man ihn mag, „Legende“. Man kann ihn aber auch einen „has been“ nennen, mit einem Ausdruck, von dem ein niedliches Internetübersetzungsprogramm meint, das sei auf Deutsch: „kein Gesprächsthema mehr“. „Has Been“ taufte der 1931 in Montreal geborene Film- und Fernsehliebling William Shatner im Jahr 2004 eine seiner sehr guten Sprechgesang-Platten (er hat auch katastrophale aufgenommen). Ein Gesprächsthema war er da bereits seit Mitte der Sechziger, vor allem als Raumschiffkapitän James Tiberius Kirk in der CBS-Show „Star Trek“.
Deren Erfinder Gene Roddenberry hatte sich den Witz geleistet, ausgerechnet einen Kanadier das darstellen zu lassen, was der Idealmann der Vereinigten Staaten Mitte des letzten Jahrhunderts zu verkörpern gehalten war: das Selbstbewusstsein eines techno-humanistischen Zivilimperialismus, der sein Gesellschaftsmodell überallhin (auch weit über den Erdkreis hinaus) zu exportieren berechtigt war.
Der leicht schmierige Heißsporn, den Shatner hier spielte, war er wohl schon damals nur bedingt. Als löblichen Charakterzug, der seine sprichwörtliche Eitelkeit mildert, gewöhnte er sich bald eine ansprechende Besonnenheit an, etwa gegenüber „Star Trek“-Fans, die mehr Kirk von ihm haben wollten, als er zu geben bereit war, oder in einem sehenswerten – und bei Youtube leicht auffindbaren – Gespräch mit dem kürzlich verstorbenen rechten Radiokrawallschädel Rush Limbaugh, den Shatner mit viel Milde von der Idee zu überzeugen versuchte, dass Förderung von Privatinitiative nicht zwingend verlangt, Benachteiligte im Schmutz verkommen zu lassen. Limbaugh kauft ihm das natürlich nicht ab, sieht dabei aber wie ein Trottel aus, was für den kamerakundigen Shatner wohl der Zweck der Übung gewesen sein dürfte.
Bis an den Rand der Selbstparodie
Dass ein 1968 ausgestrahlter Kuss zwischen Shatner und Nichelle Nichols in der Rolle der Bord-Funkerin Uhura die erste drehbuchbefohlene Schmuseszene in Amerika zwischen einem weißen Mann und einer Person, die nicht als weiße Frau galt, gewesen ist, wurde oft behauptet, wird inzwischen unter Verweis auf Älteres aber bestritten. Unbestreitbar bleibt, dass der rassistische Demagoge mit vergiftetem Lächeln, den Shatner in Roger Cormans „The Intruder“ (1962) gab, als Typus heute aktueller ist denn je und dass der vom Entsetzen in den Sitz gedrückte Fluggast, als der er 1963 in der „Twilight Zone“-Episode „Nightmare at 20,000 Feet“ die Augen mal aufreißt, dann wieder zusammenkneift, zu den überzeugendsten Opferfiguren der Geschichte des Horrorgenres gehört. Mehrfach ist Shatner nach dem Ende der „Star Trek“-Urserie, die nur drei Jahre lief, bis 1969, zu Kirk zurückgekehrt, manchmal am Rand der Selbstparodie, wie beim Schrei „Khaaaaan!“ im Kinofilm „Star Trek II: The Wrath of Khan“ aus dem Jahr 1982. Die Quelle dieses amüsanten Tricks dürfte abermals Shatners Eigenliebe sein; zwar lässt sich glauben, einer, der von sich eingenommen ist, wolle nicht veralbert werden, aber Shatner veralbert sich selbst so gut, dass andere es bleiben lassen – und damit ist die Gefahr gebannt.
Nach ein paar Jahren des Auf-der-Stelle-Tretens als langweiliger Polizist in „T. J. Hooker“ (1982 bis 1986) durfte der mittelspäte Shatner sich für „Boston Legal“ (2004 bis 2008) mit dem Ausnahmeschauspieler James Spader messen und dabei sichtlich noch einmal aufblühen. Seinen Frieden mit der Vergangenheit hatte er da längst gemacht; der Regisseur David Carson war ihm dabei 1994 in „Star Trek: Generations“ mit einer erstklassigen Sterbeszene für Kirk entgegengekommen – mit Blut im Mundwinkel, zerbrochen an einem prächtigen Felsen, zerdrückt von Metall, bilanziert er zunächst: „It was ... fun“, und scheidet dann mit einem würdigen Seufzer aus dem Leben: „Oh my.“ Man hätte es mit „Au weia“ synchronisieren sollen.
Letztes Jahr hat er seine Fans mit einem wilden Coverversionen-Album voller Stargäste – darunter Ritchie Blackmore und Albert Lee – namens „The Blues“ teils erschreckt, etwa mit seiner „Sweet Home Chicago“-Version, die unter aller Kanone ist, teils entzückt (wer bei „Smokestack Lightnin’“ so hemmungslos flennt, statt zu singen, hat das Stück verstanden), also genau die Mischung aus Quatsch und Kunst serviert, die er hoffentlich noch lange wird variieren dürfen. Heute wird William Shatner neunzig Jahre alt.
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