Er ist ein Weltstar, vielfacher Millionär. Aber dieser Triumph war ihm erst mit 61 Jahren vergönnt: ein Lob von Englands bekanntester linksliberaler Zeitung. Jeremy Clarkson konnte sein Glück kaum fassen. In einem Instagram-Posting jubelte er: „Der Guardian mag es! Der verdammte Guardian!“ Gemeint war seine neue TV-Show „Clarkson’s Farm“, zu sehen ab dem heutigen Freitag bei „Amazon Prime“. „Ich sage es nur ungern, aber Clarksons neue Show ist einfach gutes Fernsehen“, schrieb das Blatt in seiner Vorab-Rezension.
Lob für den selbst erklärten König der „Petrolheads“, den langjährigen Moderator der wohl erfolgreichsten Motorshow der Welt („Top Gear“), dem seine Rüpeleien - und eine handgreifliche Auseinandersetzung um ein Steak - im Jahr 2015 zum Verhängnis wurden? Das gab es aus dieser Ecke des publizistischen Spektrums in der Tat selten. Dabei ist der Brite ein TV-Phänomen.
Nach seinem Aus bei der BBC landete er bei Amazon weich, wo man seine neue, alte Show (natürlich mit dabei: James May und Richard Hammond) auch dank eines nie dagewesenen Produktionsvolumens als „The Grand Tour“ ganz neu erfand – und sie so wiederholt zum Verkaufserfolg machte.
Ab nach Chipping Norton
Und genau dieser Mann hat jetzt eine neue Serie, in der es sogar ein bisschen sozialkritisch wird? Ja, hat er, und sie ist in der Tat durchaus gelungen. Im bereits vorab hunderttausendfach abgerufenen Trailer versucht sich Clarkson nämlich als Bauer.
Er bestellt Felder (mit mäßigem Erfolg), er schert Schafe (was schmerzhaft für ihn endet) und natürlich: Er fährt gerne riesige Traktoren (die gibt es sogar von der Marke Lamborghini!), die nur er bedienen kann. Ähem, sollte bedienen können – aber dann kommt es natürlich ganz anders. Das Prinzip Spaß durch Schadenfreude wird auf der „Diddly Squat Farm“ – ironisch benannt nach dem allzu jämmerlichen Wachstum der Pflanzen – zum Amüsement des Zuschauers also bestens bedient.
Für seinen Protagonisten hingegen scheint sich der Spaß zunächst in Grenzen zu halten. Aber natürlich ist auch dieser Kulturschock dramaturgisch geschickt eingeplant, wenn der Londoner Wahlbürger Clarkson mit Sack und Pack in Chipping Norton (Oxfordshire) eincheckt, auf einem Bauernhof, den er immerhin schon vor mehreren Jahren gekauft hat.
Und nein, „Clarkson’s Farm“ ist – und das ist ein echtes Asset der Sendung – eben keine künstliche Kulisse, kein Potemkin’sches Dorf, das nur für die TV-Kameras angemietet wurde, sondern ein echtes und durchaus kostspieliges Herzensprojekt des knorrigen Mittsechzigers. Die Landwirtschaft ist ein hartes Geschäft, das weiß jeder, der dort einmal gearbeitet hat, und das weiß nun auch Jeremy Clarkson.
„Ich dachte, das ist nicht schwer ...“
„Ich dachte wirklich, dass du Samen in die Erde streust, das Wetter seinen Teil beisteuert und dann wächst das Essen. Also dachte ich, das ist nicht schwer“, zitiert ihn die BBC im Interview. In der Serie ist dann zu sehen, was wirklich passiert: Clarkson haut die Saat erst tonnenweise in den Boden, um dann hilflos zuzusehen, wie alles unter sintflutartigen Regenfällen verrottet. Und wer genau hinsieht, der kann in „Clarkson’s Farm“ auch eine neue, softe Seite des Über-Machos entdecken. Wie schwer es ihm etwa fällt, die Schafe zum Schlachter zu bringen, und wie gut er mit seiner „No Nonsense“-Einstellung dann doch bei der Dorfbevölkerung ankommt.
Auftritt der Nebendarsteller. Kaleb Cooper etwa, 22, Traktorfahrer, Assistent und Blitzableiter gleichermaßen in den acht Folgen, die zunächst zu sehen sind. Für einen Promi, so Coopers abschließende Einschätzung, habe sich Clarkson gut geschlagen, und zugute könnte man ihm vor allem eine Sache halten: Er sei echt interessiert. Für die Fans des 61-Jährigen, der sich selbst gern als „Genius“ tituliert, ist das wiederum eigentlich keine Überraschung: Wenn sein Kampfgeist erwacht, will Clarkson es wissen und dann natürlich auch gewinnen.
Doch wo sonst Motoren dröhnen und eine Zielfahne beim Wettrennen innerhalb von Minuten den Sieger bestimmt, war in Chipping Norton etwas anderes gefragt: Geduld. Leidensfähigkeit. Langmut. Das fassungslose Fazit des Superstars, der in der Entertainment-Welt das Geld wohl wahrlich leichter verdient hat, lautet nach einigen Monaten: Phänomenal schwierig sei das Leben auf dem Land, geradezu herzzerreißend hart und dann auch noch „phänomenal schlecht bezahlt“.
Der Brexit, so fühlt er sich also an
In der Tat: Ein Blick auf die Lebensverhältnisse der (britischen) Bauern bringt Deprimierendes zutage. Magere Einnahmen (durchschnittlich 46.000 Pfund im Jahr), viele Höfe, die jedes Jahr aufgeben, und dann ist da ja noch der Brexit, der die Farmer auf der Insel in den kommenden Jahren bis zu zwanzig Prozent ihres Einkommens kosten wird. Existenzbedrohende Probleme, die Kurzzeit-Farmer Clarkson so natürlich nicht hat.
„Wetter, Wetter, Wetter, Wetter, Brexit, Wetter, Covid, Wetter, Wetter und Schafe – ich würde sagen, das waren die 10 großen Probleme, die wir hatten“, sagt er rückblickend. Während der Dreharbeiten von 12 Monaten seien wohl „fünf verschiedene Wetterrekorde“ aufgestellt worden. „Jeder Bauer hier in der Gegend sagte zu mir: ‚Du hättest kein schlechteres Jahr wählen können, um mit der Landwirtschaft zu beginnen.‘“ Für lockere Sprüche von der Kamera reichte es natürlich trotzdem noch: „Kann ich mal ein bisschen Klimaerwärmung haben“, dröhnt Clarkson angesichts des strömenden Landregens.
Doch „Clarkson’s Farm“ wäre nicht so gut, wenn sie nicht auch die großen Probleme der Zeit im Kleinen spiegeln würde. Noch einmal zurück zum Brexit, der neben der Covid-Epidemie immer wieder als dunkler Schatten über dem Farmleben liegt.
„Die EU lässt mich diesen Käfer nicht töten“
Clarksons „geniale“ (natürlich!) Außenseiteridee, auf den Anbau von Hartweizen zu setzen, endet etwa in den Docks of Dover: Die dringend benötigten Samen stecken dort mitten in der Pflanzsaison fest. Eine andere Episode zeigt, wie er wegen einer EU-Richtlinie ein bestimmtes Insektenvertilgungsmittel nicht nutzen darf. Die Käfer fressen daraufhin seinen Raps und Clarksons flucht: „Das sind 4000 Pfund, die gerade wegen des Käfers weg sind, und die EU lässt mich diesen Käfer nicht töten!“ Clarkson war übrigens ein erklärter Gegner des EU-Ausstiegs Großbritanniens.
Ob dieses Format seine alten Fans wird fesseln können? Das bleibt abzuwarten. Neue Fans aufseiten der „Guardian“-Leser dürften trotz der positiven Kritik weiterhin auf sich warten lassen. „Clarkson? No, but no, thank you“, kommentierten die Leser unter dem Artikel.
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