Album der Woche:
Wie kann man einen Musiker nicht grundsympathisch finden, der zu seinen Lieblingsgerichten Käsetoast zählt (noch warm, mit salziger Butter – es gibt an manchen Tagen nichts Besseres!) und sich lieber drei statt zwei Frühstückseier zubereitet? Das enthüllte unlängst der NDW-Survivor Andreas Dorau über seinen Produzenten und Freund. Zwanie Jonson heißt dieser Musiker, der hier nun endlich einmal gewürdigt werden soll.
An diesem Freitag erscheint das inzwischen vierte, erneut wonnig butterschmelzige Solo-Album des Hamburger Schlagzeugers, Sängers und Multiinstrumentalisten. »We Like It« heißt es, und allein der Titelsong ist ein künftiger kleiner Pop-Klassiker, ein Indie-Road-Movie, zu dem man selig schweigend eine endlose Landstraße entlanggleitet. Im Sommer, versteht sich, wenn man durch die Windschutzscheibe blinzeln muss und nicht weiß, ob’s an der Sonne liegt oder an diesem brustberstenden Gefühl der Rührung, wenn ein guter Song alle emotionalen Register zieht. Und dabei eigentlich nur ganz unauffällig vor sich hin tuckert, eine Gitarre schrummelt hier, eine Orgel tüpfelt dort. »We like it«, na gut. Na klar! Pures Understatement, pure Pop-Magie.
Jonson, den Namen spricht man nordisch mit weichem Jott aus, nicht amerikanisch, ist in der Musikerszene seiner Heimatstadt so beliebt, dass ihm die Gruppe Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen jüngst den ausgelassenen Song »Yo Zwanie« widmete: »Zwanie oh Zwanie, gib uns Hall und Delay/ Unter den Augen von Marvin Gaye«.
Den Spitznamen Zwanie bekam Christoph Kähler angeblich, weil er sich früher für 20 Mark als Drummer anheuern ließ. Er spielte dann auf Tournee unter anderem für Disjam, Fettes Brot, die Fantastischen Vier, Fink und natürlich auch oben erwähnte Gentleman-Liga.
Sein eigener Sound ist jedoch ein vor allem von Soul sowie dem Soft- und Yacht-Rock der Siebzigerjahre beeinflusster Westcoast-Groove, der seinen Freund und Weggefährten DJ Koze einst so ratlos machte, dass er für Jonsons Debüt eigens die Plattenfirma Hoobert gründete. Inzwischen veröffentlicht er seine in loser Folge erscheinenden Alben beim Staatsakt-Label in Berlin.
Jonsons sinnlich-lakonischer, inzwischen tiefer gewordener Brummelgesang erinnert oft an Al Stewart (»The Year of The Cat«), manchmal an Bill Withers, andere fühlen sich an J.J. Cale erinnert. Wer genau hinhört, entdeckt auch den Achtzigerjahre-Pop von Double (»Captain Of Her Heart«) und Laid Back (»Sunshine Reggae«) in seiner Musik, vor allem, wenn Jonson in »Bring Me Colour« raunt: »Stay a little longer«. Let the good vibes und so, Sie wissen schon. Zu langsam für die Disko, aber genau richtig fürs sanfte Wippen beim Open Air.
Mit dieser betont affirmativen, präzise getakteten, aber auch psychedelisch verspulten Musik trifft Jonson verblüffend genau den nach Geborgenheit dürstenden ASMR-Zeitgeist des neuen Corona-Cocoonings: tröstlich und optimistisch, eskapistisch, warm und ein bisschen wehmütig. Zwanie Jonson könnte ein neuer Jack Johnson sein, falls sich noch jemand an den einst populären Surfer-Dude aus Hawaii erinnert. Kommt alles gerade wieder, dieser Sicherheit und Zuversicht vermittelnde, melodieverliebte und handgemachte Pop der Prä-9/11-Ära.
Aber nicht alles ist eitel Sonnenaufgang in Jonsons beschwingtem Easy Listening: »It’s Our DNA« beschäftigt sich mit dem Zwang, berühmt zu werden, »special« zu sein. in »You Wrote A Book« gibt er den Ratschlag, sich bis zum nächsten Morgen unter einem Baum zu verstecken, wenn man sich in Wald verlaufen hat. Man soll nur bloß nicht glauben, dass einem jemand zur Hilfe kommt. »Empty Cities« vergleicht die Corona-leeren Straßen mit der inneren Leere, die es zu überwinden gilt. Und »Hate Is Coming Back« schließlich ist – so scheint es – ein sensationell geduldig vorantreibender Jam über die Lügen und Angstmacherei der Querdenker-Demagogen.
So oder so, Zwanie Jonson macht diese immer noch finstere Zeit mit seinem leichthändigen Blue-Eyed-Soul etwas heller. Um es mit ihm und seinem neuesten Smash-Hit zu sagen: »Yes, you've got the hook!« (8.0)
Kurz Abgehört:
Moritz von Oswald Trio – »Dissent«
Das ist die Musik, die einem das Hirn als Soundtrack einspielt, wenn man in diesen Zeiten des Lockdowns durch die dunklen, seit Monaten geschlossenen Berliner Clubs geistern würde: Echos verhallter Beats und zischender Rhythmen, spannungsvolle, erwartungsschwangere Perkussion, ambiente Elektronik-Sounds, die im freien Raum sehnsüchtige Kapriolen schlagen und, im Verlauf der zehn Kapitel des Albums, leisen, aber suggestiven Widerspruch (Dissent) gegen die Stille einlegen: der elegante, reserviert-nervöse Klang des Abwartens. Sechs Jahre nach seinem letzten Trio-Album ist dem Techno-Pionier Moritz von Oswald zusammen mit Schlagzeuger Heinrich Köbberling und Elektronik-Musikerin Laurel Halo eine Genre-Barrieren transzendierende Jam-Session zwischen Jazz, Minimal und Dance gelungen. (8.5)
Liars – »The Apple Drop«
Hat da jemand gerade Radiohead gesagt? Ja, aber nee: Der aus Brooklyn agierende Australier Angus Andrew und seine Band Liars, zuletzt eher ein Solo-Projekt, operieren seit ihrer Gründung vor 21 Jahren auf viel glitschigerem Terrain zwischen Punk, Industrial und Elektronik. Auf seinem kohärentesten Album seit langem presst der musikalisch unberechenbare, mental stets herausgeforderte Andrew den wallenden Nebel im »Storeroom of his mind« mit brutalem Düsterrock, KI-Algorithmen, Sequenzern und überraschenden Pop-Momenten durch ein Wurmloch der Bewusstseinsklärung. Vielleicht würden Velvet Underground heute so ähnlich klingen. (7.0)
IDER – »Shame«
»I’m just too scared I’m too obsessed with you«, singen IDER auf ihrem euphorisch-tristen zweiten Album, das kann sich auf Instagram, Pillen, Drinks, einen Lover oder das eigene Ego bzw. Körper und Mental Health beziehen, alles Obsessionen der jungen Generation, zu deren Sprecherinnen sich die Londonerinnen Lily Somerville and Megan Markwick sich 2019 mit ihrem Debüt voller selbstzweifelnder Bekenntnis-Lyrik und süßen Pop-Hooks machen wollten. Ohne Major-Label, nach Covid-Erkrankungen und einem dadurch missglückten Umzug nach Berlin nun der nächste, charmant verkaterte Versuch, sich am eigenen Missmut aufzurichten: Fifty Shades of Scham. (6.5)
Ty Segall – »Harmonizer«
Was ist denn jetzt los? Ausgerechnet der König des glamourös verlotterten Fuzz-Rock’n'Rolls eröffnet sein diese Woche überraschend veröffentlichtes neues Solo-Album mit elektronischen Beeps, Klonks und Synthie-Sounds, als wäre er, äh, Beck. Ausgerechnet im zweiten Song, der »Whisper« heißt, brechen dann die lauten, verzerrten Gitarren wieder herein, setzen aber den Ton für einen seltsam komprimierten, aufgeräumt und synthetisiert wirkenden Stoner-Bluesrock. Erinnert an die Phase, als ZZ-Top sich für »Eliminator« neu erfanden. Zwiespältig, aber irgendwie auch zwingend. (7.5)
Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)
Mittwochs um 23 Uhr gibt es beim Hamburger Web-Radio ByteFM ein »Abgehört«-Mixtape mit vielen Songs aus den besprochenen Platten und Highlights aus der persönlichen Playlist von Andreas Borcholte.
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