Für BMW hat die Software eine zentrale Rolle beim Bauen und Verkaufen von Autos. Der Entwicklungschef will dennoch beim autonomen Fahren nichts überstürzen.
Seit Juli 2020 ist Frank Weber CTO beim Münchner Autohersteller BMW. Golem.de hat mit dem Entwicklungschef über neue Herausforderungen für Autokonzerne und die wichtigsten Entwicklungen im Autobau gesprochen.
Golem.de: Herr Weber, Sie sind mit Unterbrechung seit 2004 in der Autobranche tätig; erst bei GM, dann bei Opel und nun in der BMW Group. Wie hat sich der Digitalisierungsanspruch in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert?
Frank Weber: Eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Jahre ist, dass die Kunst des Autobauens und das Digitale immer mehr miteinander verschmelzen. Dabei ist das Zusammenspiel von Hardware und Software wichtiger denn je geworden. Der Schlüssel zur Integration digitaler Produkte und Services liegt für mich darin, die Software-Entwicklung in den komplexen Fahrzeugprozessen direkt zu verankern.
Im vergangenen Jahr haben wir die Digital-Entwicklung auf ein neues Level gehoben und eine neue Einheit mit dem Namen "Digital Car" gegründet. Wer die digitale Welt wie selbstverständlich in seinen Produkten haben will, der muss IT in allen Bereichen der Entwicklung und des Unternehmens verankern. Wir entkoppeln nicht, bei uns gilt "Digital überall". Bei uns arbeiten weltweit bereits rund 10.000 Mitarbeiter im Bereich IT und Software-Entwicklung.
Golem.de: Arbeiten Sie bei der Softwareentwicklung auch mit Startups wie Re2You zusammen? Wie entscheiden Sie, ob Sie einen Code kaufen oder Ihren eigenen intern entwickeln?
Weber: Unser Team der Startup Garage arbeitet mit digitalen Newcomern zusammen. Wir haben aber auch unsere eigenen Kompetenzen und Kerneigenleistung im Bereich Software-Engineering über die Jahre konsequent ausgebaut.
In der Entwicklung verfolgen wir einen strategischen "Make or Buy"-Ansatz. Dabei bewerten wir, in welchen Bereichen Software einen markenprägenden und differenzierenden Charakter hat und einen funktionalen Unterschied macht. Essenziell ist aber eines: Wir haben zu jeder Zeit die Hoheit über die Fahrzeugsoftware, denn nur so lässt sich die digitale Plattform über den gesamten Lebenszyklus weiterentwickeln und upgraden.
Autonomes Fahren braucht sicheren Mehrwert
Golem.de:Trotz der großen Bedeutung von Software stehen Sie laut diverser Interviews dem autonomen Fahren skeptisch gegenüber. Was ist aktuell die größte technologische Hürde bei dieser Technik?
Weber: Ich bin nicht skeptisch. Ganz im Gegenteil. Wir entwickeln automatisiertes Fahren mit einem klaren Ziel: Unseren Kunden ein Mehr an Sicherheit und Komfort zu bieten. Wir bieten schon heute rund 40 Fahrerassistenzfunktionen, die den Kunden beim Fahren und Parken unterstützen.
Wenn wir in der Kombination aus Sicherheit, Funktion und Verantwortungsübernahme durch das System einen sicheren Mehrwert sehen, werden wir hochautomatisiertes Fahren nach Stufe 3 anbieten. Darüber hinaus müssen auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit Deutschland Vorreiter wird beziehungsweise eine führende Rolle beim automatisierten Fahren einnehmen kann, müssen verlässliche Zulassungsgrundlagen geschaffen werden.
Golem.de: Was meinen Sie damit konkret? Mercedes-Benz hält an seinen Plänen fest, in diesem Halbjahr einen Staupiloten auf den Markt zu bringen. Warum schafft BMW das nicht?
Weber: Wir haben immer auf die enorme Herausforderung hingewiesen, wenn das Fahrzeug die Verantwortung vom Fahrer übernehmen soll. Das Thema ist in vielerlei Hinsicht höchst komplex. Die technologische Befähigung, die Gesetzgebung, der Mensch - all das sind Einflussfaktoren, die dabei eine Rolle spielen. Für uns geht hier ganz klar die Sicherheit vor. Der BMW iX ist das erste Fahrzeug, das Fahrerassistenzfunktionen aus einem neuen Technologiebaukasten bietet. Dieser Baukasten ermöglicht einen kontinuierlichen Zuwachs an Funktionen beim Fahren und Parken - und selbstverständlich auch Level 3.
Golem.de:Der Gesetzgeber hat sogar schon die gesetzlichen Grundlagen für vollautomatisierte Fahrzeuge geschaffen. Gibt es Überlegungen von BMW, in dem Bereich fernüberwachter Autos aktiv zu werden?
Weber: Wir arbeiten sehr fokussiert an der individuellen Mobilität der Zukunft, aber fernüberwachte Fahrzeuge wie zum Beispiel Robotertaxis gehören nicht zu den Unternehmensplänen.
Golem.de:BMW hat sich vor zwei Jahren für den 5G-Standard beim vernetzten Fahren stark gemacht. Wann bringen Sie dazu die ersten Anwendungen für Car2X auf den Markt?
Telefonieren ohne Telefon wird möglich
Weber: Der BMW iX wird unser erstes 5G-Fahrzeug sein. Zu der standardmäßig aktiven Fahrzeug-eSIM bietet der iX auch eine persönliche eSIM, wie man sie bisher eigentlich nur von Tablets oder Smart Watches kennt. Beide eSIMs sind voll auf den neuen Mobilfunkstandard 5G ausgelegt und können gleichzeitig aktiv sein. Das heißt konkret, dass unsere Kunden in ihrem BMW telefonieren können, ohne dass sie ihr Telefon physisch dabeihaben müssen.
Die ersten Fahrzeuge haben wir aber bereits 1998 mit SIM-Karten ausgestattet. Seitdem haben wir über 14 Millionen vernetzte Fahrzeuge auf die Straße gebracht, die mittels Sensoren weltweit Daten sammeln und über die BMW-Cloud der gesamten Flotte via V2X-Kommunikation zur Verfügung stehen. Die Informationen nutzen wir zum Beispiel, um unsere Kunden vor Gefahren wie Starkregen oder Glatteis zu warnen. Gleichzeitig teilen wir diese sicherheitsrelevanten Daten unserer Schwarmintelligenz bereits mit anderen.
Golem.de: Seit zwei Jahren stellt BMW die Verkehrsdaten seiner Autos unter einer nicht-kommerziellen CC-Lizenz zur Verfügung. Würden Sie eine gesetzliche Regelung zur Weitergabe der Fahrzeugdaten befürworten?
Weber: Ein hersteller- und industrieübergreifender Austausch von sicherheitsrelevanten Daten ist elementar und absolut wünschenswert, um die Verkehrssicherheit durch digitale Technologien schnell und massiv zu verbessern. Beim Thema Sicherheit sollte es keinen Wettbewerb, sondern nur Kollaboration geben. Deshalb haben wir uns von Beginn an zusammen mit Partnern aus Politik, der Automobilbranche, Serviceanbietern und Verkehrsbehörden stark an dem ersten Piloten einer neutralen Serverplattform zum Austausch von sicherheitsrelevanten Verkehrsdaten beteiligt.
Golem.de: Welche digitale Technik erachten Sie als relevanter als autonomes Fahren, damit die deutsche Autoindustrie ihre Führungsrolle auf dem internationalen Markt behalten kann?
Weber: Es geht nicht darum, was relevanter ist, denn alles hängt miteinander zusammen. Der BMW iX ist das beste Beispiel dafür. Wir haben für den iX das neue BMW Operating System 8 entwickelt - es ist intelligenter und schneller als je zuvor. Der iX wird auch das erste Fahrzeug der BMW Group sein, das automatisierte Fahr- und Parkfunktionen aus einem neuen Technologiebaukasten bietet. Und er erhält die 5. Generation unseres elektrischen Antriebs.
Über das Remote Software Upgrade können wir jede einzelne Codezeile im Fahrzeug over-the-Air aktualisieren. So ist das Fahrzeug immer auf dem technologisch neuesten Stand. Bis Ende des Jahres werden wir mit über 2,5 Millionen die weltweit größte Flotte an upgradefähigen Fahrzeugen haben. Es gibt weltweit genau zwei Hersteller, die over-the-Air-Upgrades in diesem Stil beherrschen: einen in Kalifornien und einen in Bayern.
Golem.de: Welche Technologien könnten Deutschland einen Vorsprung im Bereich E-Mobility ermöglichen?
Weber: Für mich ist es mehr das Zusammenspiel aller Technologien, die wir für die Zukunft der digitalen und vernetzten Elektromobilität entwickeln. Nehmen wir als Beispiel die Batteriezelle: Sie ist das Herzstück der Batterie. Sie bestimmt Energiegehalt, Leistung, Ladefähigkeit und Lebensdauer und definiert daher ganz wesentlich die Performance unseres E-Antriebsstranges, den wir jetzt in der fünften Generation ausrollen.
Darin steckt die ganze Erfahrung und Kompetenz, die wir seit dem Start des BMW i3 im Jahr 2013 gesammelt haben. In unserem Battery Cell Competence Center in München entwickeln wir die Batteriezelltechnologie konsequent weiter und produzieren in drei eigenen Batteriefabriken alle Batteriemodule und Hochvoltbatterien selber. Unsere künftigen elektrifizierten Modelle werden durch die Performance, Reichweite und Ladefähigkeit davon profitieren.
Nicht nur Software entscheidet über Autokauf
Golem.de:Welchen Stellenwert wird Software künftig beim Autoverkauf einnehmen? Wird sie zu einem Auswahlkriterium, wie heute der Motor?
Weber: Das digitale Erlebnis im Fahrzeug wird für den Kunden immer wichtiger. Vor genau 20 Jahren hat BMW das erste iDrive Infotainmentsystem auf den Markt gebracht. Zu seiner Zeit war es ein revolutionärer Ansatz, eine Vielzahl von Knöpfen durch einen Controller und ein Display zu ersetzen.
Das neue BMW iDrive, das mit dem iX in diesem Jahr auf den Markt kommt, steht für einen erneuten Paradigmenwechsel. Weniger Knöpfe, mehr Interaktion mittels natürlicher Sprache und die intelligente Unterstützung des Fahrers durch das System. Wir unterstützen damit unsere Kunden mit den neuesten digitalen Technologien im Fahrzeug, so wie er es auch außerhalb des Fahrzeugs gewohnt ist. Dennoch: Die Freude am Fahren umfasst viele Aspekte, die für den Kunden auch in Zukunft beim Kauf wichtig sein werden.
Golem.de: Werden Apps die künftige Schaltzentrale von Autos sein, und was planen Sie dahingehend?
Weber: Die Integration von Apps ist für das gesamte Erlebnis im Fahrzeug genauso wichtig wie die Interaktion. Wir integrieren die für unsere Kunden relevanten Apps, die sie aus ihrem digitalen Ökosystem gewohnt sind und auch im Auto nutzen, beispielsweise Spotify, Alexa oder News Feeds.
Golem.de: Künstliche Intelligenz (KI) wird nicht nur für autonome Autos, sondern auch im Bereich Datenverarbeitung und Flottenmanagement benötigt. Wo liegt diesbezüglich ihr Hauptfokus in der KI-Entwicklung und welche Möglichkeiten loten Sie noch aus?
Weber: Künstliche Intelligenz und datenbasierte Entscheidungen sind fester Bestandteil in unserer Entwicklung. KI ist eine immer wichtiger werdende Säule für das Digital Car und das ganze Unternehmen. Neben bereits etablierten KI-Anwendungen haben wir in der Entwicklung aktuell über 100 Smart-Data-Analytics- und KI-Anwendungen, die sich in der Proof-of-Concept-Phase befinden.
KI hilft unseren Ingenieuren, alltägliche Entwicklungsaufgaben besser und schneller zu meistern und - ganz entscheidend - sie hilft uns bei der Verarbeitung und Interpretation großer Datenmengen. Denn das Data-driven Development ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung des automatisierten Fahrens.
Ende 2020 standen aus den Regionen Europa und Nordamerika bereits mehr als 250 Millionen Kilometer zur Verfügung. Aus den Daten der BMW-Flotte und unserer Kundenfahrzeuge werden relevante Fahrszenarien und Umfeldfaktoren ausgewählt. Beispielsweise können wir mit Geo-Locating feststellen, auf welchen Strecken die Systeme aktiviert oder deaktiviert werden. Dadurch können wir analysieren, wie wir die Funktionen für diese Situationen verbessern können. Der Kunde profitiert direkt davon, indem wir ihm kontinuierlich eine optimierte Funktion zur Verfügung stellen.
BMW verfolgte Multicloud-Strategie
Golem.de: Welche Cloud-Strategie verfolgen Sie bei BMW?
Weber: Cloud-Lösungen sind die Basis, um das volle Potenzial von Daten mit maschinellem Lernen, KI und und Data Analytics flexibel und effizient zu heben. Wir verfolgen eine Multicloud-Strategie und gehen sehr strategisch bei der Auswahl unserer Cloud-Partner vor. Wir arbeiten heute mit drei großen Anbietern zusammen: Amazon Web Services, Microsoft Azure und Google Cloud.
Als Gründungsmitglied bringen wir uns sehr aktiv in die Gestaltung von Gaia-X ein. Die Ziele des Projekts - das Streben nach Datensouveränität, das Reduzieren von Abhängigkeiten, das Etablieren von Cloud-Diensten in der Breite sowie die Schaffung eines offenen Ökosystems und einheitlicher Schnittstellen für Innovationen - decken sich mit unseren eigenen Bestrebungen.
Golem.de: Zwischen 1990 und 2000 gab es eine Hochphase im deutschen Autobau. Von BMW und Mercedes kamen in dieser Zeit Autos, die bei vielen als "overengineered" im positiven Sinn gelten. So verlässlich, gut gebaut und durchdacht entwickelt wurde es danach gefühlt nicht mehr. Wird es so eine Hochphase bei der Softwareentwicklung mal wieder geben?
Weber: Ich würde sagen, wir sind mittendrin in einer Hochphase. Im Rahmen der diesjährigen Bilanz-Pressekonferenz haben wir die Neue Klasse präsentiert. Damit werden wir Mitte des Jahrzehnts neue Maßstäbe bei Digitalisierung, Elektrifizierung und Nachhaltigkeit im BMW-Produktportfolio setzen. Die Neue Cluster-Architektur wird die Neue Klasse mit einer neuen IT- und Software-Architektur, einer hoch performanten elektrischen Antriebs- und Batteriegeneration und einem radikal neuen Niveau an Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus befähigen und dabei die Charakteristik eines BMW in die Zukunft übertragen.
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