Am Tag, an dem das Geraune um eine mögliche Super League im europäischen Fußball wieder einmal die Schlagzeilen beherrscht, sorgt ein kleiner Klub aus einer Separatisten-Region für eine der größten Sensation der Champions-League-Geschichte.
Sebastien Thills linke Wade ziert ein Tattoo. Es zeigt ihn und den berühmten Henkelpott, den der Champions-League-Sieger in Empfang nehmen darf. Thills linker Fuß sorgte dann für das Wunder von Bernabeu. Der Dropkick des 27-jährigen Luxemburgers zischte aus 18 Metern ins linke Toreck, unhaltbar für Real-Torhüter Thibaut Courtois. Es war die 89. Minute und der 2:1-Siegtreffer für den moldawischen Vertreter Sheriff Tiraspol, dieser Stadt in der Separatisten-Region Transnistrien. Der Verein wird von einem Großkonzern finanziert, der zugleich die Politik der Region kontrolliert. (über die Hintergründe erfahren Sie mehr in diesem Text von Kevin Schulte).
Thill, Sohn einer luxemburgischen Mehrkämpferin und eines ehemaligen Fußballers, der einst in einem Spiel zwischen seinem Klub CS Grevenmacher und Avenir Beggen ein Tor vom Anstoßpunkt erzielte, war erst Anfang des Jahres ans Ende Europas gewechselt. Um endlich mal einen Titel zu gewinnen. Nun steht sein Name in den Geschichtsbüchern seines Klubs, der Champions League und mindestens in einer Fußnote auch in denen des Fußballs an sich. Noch vor dem seines Vaters. "Es ist das beste und wichtigste Tor meiner Karriere. Das steht fest", sagte Thill nach dem Spiel: "Wir sind so glücklich. Wir haben ein wirklich gutes Spiel gemacht. Die Mannschaft war so mutig. Zum Glück konnte ich dann sogar noch dieses spektakuläre Tor erzielen."
Es war der zweite Treffer für Sheriff, nachdem der Usbeke Jasur Yakhshiboev den Außenseiter in der ersten Halbzeit mit einem Kopfball in Führung gebracht hatte. Es war der, der Real ins "Verlies" sperrte, wie die spanische Zeitung "Marca" bemerkte. Es war auch der Treffer zur ersten Saison-Niederlage der Königlichen. Eine, die die Fußballwelt eine Weile erschüttern dürfte. Und die es so natürlich nie hätte geben dürfen.
Real gewinnt Statistik
Denn immerhin wies die offizielle Statistik Real Madrid in sämtlichen Bereichen des Spiels als Sieger aus. Sie hatten 30 Torschüsse gegenüber Sheriffs vier, elf davon kamen aufs Tor, einer klatschte ans Torgestell. Aber nur Karim Benzema traf. Per Elfmeter. Auch die 68 Prozent Ballbesitz und die 629 zu 177 angekommenen Pässe unterstrichen die Dominanz der Königlichen. Allein: Es half ihnen nicht. Torhüter Georgios Athanasiadis, ein 28-jähriger Grieche, hatte einen großen Tag erwischt. Er parierte zehn Schüsse, stibitzte die Auszeichnung zum Spieler des Spiels. "Ich bin einfach glücklich. Es ist so verdammt schwierig, gegen diese Mannschaften zu spielen, die besten der Welt", sagte er und verschwand bald: "Ich bin so emotional. Wenn ich noch länger rede, fange ich an zu weinen."
Der 13-fache Champions-League-Sieger blamierte sich also bis auf die Knochen und gratulierte trotzdem. "Wir hatten so viele Schüsse, ihr Torwart hat viel gerettet. Man muss ihnen zu den zwei Toren gratulieren", sagte Mittelfeldspieler Casemiro: "Wir hatten die Kontrolle über das Spiel, hatten viele Chancen und dann haben sie ein Wundertor erzielt." Ein Wundertor, das auch in Reals Vereinsgeschichte eingehen wird. "Ist die Niederlage gegen Sheriff die peinlichste Niederlage aller Zeiten?", fragte die spanische Zeitung "AS" und beantwortete die Frage mit "Ja". Fortan also steht das 1:2 gegen den Separatisten-Klub aus Transnistrien noch vor einer 0:5-Pleite gegen Kaiserslautern im 1981er UEFA-Cup und einer 0:4-Pokalniederlage gegen den unterklassigen Madrider Vorortklub AD Alcorcon aus der Saison 2009/2010.
"Warum nicht träumen?"
"Ich habe immer davon geträumt, im Bernabeu zu gewinnen", sagte der peruanische Verteidiger Gustavo Dulanto, den es Anfang des Jahres ablösefrei von Boavista Porto nach Osteuropa verschlagen hatte und der einen Schuss von Luka Modric mit dem Kopf parierte. "Ich habe Real immer verfolgt. Sie sind der Verein, der die meisten Champions-League-Siege eingefahren hat. Sie hier zu Hause zu schlagen: Das ist ein großer Erfolg."
Frank Castañeda, der kolumbianische Kapitän Tiraspols, hatte immer an diesen Erfolg, an die Magie des Fußballs geglaubt. "Ich habe als Kapitän zu meinen Mannschaftskameraden gesprochen, sie motiviert und gesagt: 'Warum nicht träumen? Das ist Fußball. Real Madrid ist ein historisches Team, aber auf dem Spielfeld heißt es elf gegen elf. Wir wollten den Sieg und haben ihn bekommen."
Damit hatte der 27-Jährige, der über den slowakischen Klub FK Senica nach Europa kam, auch die Essenz des Abends zusammengefasst: "Jeder kann jeden schlagen." An der Abschaffung dieser Grundidee des Spiels arbeiten Vereine wie Real Madrid, aber auch die UEFA seit langer Zeit. Für Real wird die Niederlage keine größeren Konsequenzen haben. In ihrer Gruppe belegen sie weiterhin Platz 2. Sie werden sich für die K.o.-Phase der Champions League qualifizieren. Das System federt sie bereits jetzt ab.
Superklubs wollen Planbarkeit
Real Madrid, das kein Separatisten-Klub, sondern seit April ein Rebellen-Klub ist, gehört zu eben jenen zwölf Klubs, die im Frühjahr mit ihren Super-League-Plänen für Wirbel sorgten, sich gegen die UEFA stellten, die ihrerseits eine Reform der Champions League durchdrückte, die den Zugang zum größten Klubwettbewerb des Fußballs erschweren und die Verhältnisse zementieren soll. Den Tag über hatte das Geraune um eine mögliche Super League mal wieder an Fahrt aufgenommen. Sie ist noch lange nicht vom Tisch. Die Niederlage der Königlichen wird an diesem Geraune nichts ändern. So wunderbar die Geschichte einer Sensation für den Betrachter ist, so ärgerlich ist sie für die Vereine, die den Fußball mit ihrer Gier an den Rand der Selbstzerstörung gebracht haben und die Planbarkeit brauchen.
Aber welche Entwicklung der Fußball in den nächsten Jahren auch nimmt: Sebastien Thill und seine Teamkameraden aus aller Welt werden sich ein Leben lang an diesen Abend erinnern. An den Abend, an dem der Fußball für einen Moment wieder Träume erlaubte. An den Abend, an dem ein kleiner Klub aus einer Separatisten-Region den größten Verein der Welt besiegte.
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