Nach dem Finale ist vor dem Finale: Auf jenes in Rom vom Freitag folgt das in Belfast an diesem Montag. Schon vor dem Spiel gegen die Schweiz im heimischen Olympiastadion war in den italienischen Medien vom Endspiel um die Qualifikation zur WM-Endrunde die Rede gewesen. Ein Sieg über die Eidgenossen hätte das Ticket nach Qatar faktisch garantiert. Aber nach dem mühsamen 1:1 gegen die aufmüpfigen Schweizer steht für den Europameister im Belfaster Windsor Park nun ein weiteres Endspiel bevor, gewissermaßen das finale Finale (20.45 Uhr bei DAZN). Gegen die Nordiren brauchen die Azzurri einen Sieg, denn alle Welt rechnet damit, dass die Schweizer zur gleichen Zeit auf heimischem Rasen in Luzern auch die Bulgaren schlagen werden.
Und selbst dann wären der Gruppensieg und die direkte Qualifikation für die Azzurri nur dann gesichert, wenn Italien den gegenwärtigen Vorsprung von zwei Treffern in der Tordifferenz gegenüber der Schweiz erfolgreich verteidigen würde. Sollten aber die Schweizer die Bulgaren 3:0 besiegen und die Italiener in Belfast nur 1:0 gewinnen, dann würde die Schweiz bei Punkt- und Torgleichheit mit Italien wegen des minimalen Vorteils im direkten Vergleich den Gruppensieg erringen. Das am Freitag in Rom vom Schweizer Silvan Widmer erzielte Auswärtstor würde den Ausschlag geben, weil die Italiener beim 0:0 in Basel am 5. September auf fremdem Boden torlos geblieben waren.
Das ist ein Rechenbeispiel, das jeden Tifosi in ein schlimmes Schleudertrauma versetzt. Wie schon bei der Qualifikation für die WM 2018 in Russland müsste der viermalige Weltmeister abermals in die Play-offs. Und die endeten am 13. November 2017 mit der „Apokalypse von Mailand“, als einer kraft- und ideenlosen Squadra Azzurra kein Tor gegen die Schweden gelang, die das Hinspiel in Stockholm drei Tage zuvor 1:0 gewonnen hatten. 2018 fand dann erstmals seit 60 Jahren eine WM-Endrunde ohne Italien statt.
In Italien geht die Angst um
Nicht zufällig titeln die italienischen Blätter vor dem Spiel gegen Nordirland von der „grande paura“, vor dem „muro irlandese“, der großen Angst vor der irischen Mauer. Bei drei Länderspielen in Nordirland ist Italien noch nie ein Sieg gelungen. 1957 gab es eine Niederlage und ein Unentschieden, und beim letzten Aufeinandertreffen im Oktober 2010 kam Italien bei der EM-Qualifikation nicht über ein torloses Unentschieden hinaus. Hinzu kommt, dass die Nordiren in der gegenwärtigen WM-Qualifikationsrunde bei ihren drei Heimspielen noch kein einziges Tor zugelassen haben.
Sollte die doppelt gemauerte irische Mauer am Montagabend auch dem Ansturm der Italiener widerstehen und die Schweizer zur gleichen Zeit die Bulgaren schlagen, dann ginge in Italien die Angst vor einer sozusagen postapokalyptischen Apokalypse um: zweimal nacheinander Scheitern in den Play-offs der WM-Qualifikation.
Damit schlösse sich der Kreis von Niedergang, Wiederaufstieg und Niedergang. Bekanntlich kam die gedemütigte Squadra Azzurra nach der Schmach der verpassten WM-Endrunde in Russland rascher zurück als erhofft. Und sie eroberte bei der pandemiebedingt um ein Jahr verschobenen EM 2020 in diesem Sommer mit mutigem Offensivfußball nicht nur die Herzen aller europäischen Fußballfans, sondern mit dem erforderlichen Glück auch gleich den Titel. Nationaltrainer Roberto Mancini, der Vater dieser Wiederauferstehung, wurde ordnungsgemäß sogleich zum Nationalheiligen: santo subito.
Die Gründe für die Mühen in der Ebene der WM-Qualifikation nach dem Gipfelsturm bei der EM sind rasch erzählt. Zumal junge Spieler wie Torhüter Gianluigi Donnarumma und die Offensivkräfte Federico Chiesa, Nicolò Barella und Manuel Locatelli sehen sich im Verein wie in der Nationalmannschaft mit der Tatsache konfrontiert, dass es leichter ist, unbekümmert eine Bergspitze zu erklimmen, als hernach droben die Höchstleistung zu konservieren.
Hinzu kommen Verletzungen von Stammkräften wie Kapitän Giorgio Chiellini, Ballverteiler Marco Verratti und Mittelstürmer Ciro Immobile sowie Linksverteidiger Leonardo Spinazzola. Auch die Mehrfachbelastung für die Spieler in ihren jeweiligen nationalen Ligen, in den Vereinswettbewerben der UEFA sowie mit der Nationalmannschaft in der UEFA Nations League und der WM-Qualifikation fordert ihren Tribut – wenn nicht durch Verletzung, so durch physische und mentale Ermattung.
Es ist kein Zufall, dass die Rekordserie von 37 Spielen ohne Niederlage unter Mancini mit dem 1:2 gegen Spanien im Halbfinale der Nations League am 6. Oktober in Mailand gerissen ist. Seit der EM hat Italien in sechs Länderspielen nur zwei Siege erreicht. In Belfast muss der dritte her, da ist sich Trainer Mancini mit seiner Squadra einig. Und Einigkeit besteht auch darin, dass zu einem möglichen Elfmeter in Belfast nicht abermals Mittelfeldgestalter Jorginho antreten soll: Nach zwei nacheinander verschossenen Strafstößen gegen die Schweiz muss es vom ominösen Punkt ein anderer versuchen.
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