(Motorsport-Total.com/Motor1) - Man kann den Bugatti Chiron ein wenig mit dem Porsche 917 vergleichen: Beide sind absurd schnell, beide gibt es als Kurz- und Langheck. Im Fall des Chiron handelt es sich um den Super Sport, dessen straßenzugelassene Ausführung 440 km/h erreichen kann. Jetzt verraten die Ingenieure, welche technischen Kniffe dafür notwendig waren.
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Bugatti Chiron Zoom
Eine Höchstgeschwindigkeit jenseits der 400 km/h erfordert nicht nur einen kraftvollen Antrieb, sondern auch einen möglichst geringen Luftwiderstand. Beim Bugatti Chiron Super Sport tüftelten Ingenieure und Designer monatelang an der besten Aero-Balance, dem geringsten Luftwiderstand und dem größtmöglichen Abtrieb.
Für Geschwindigkeiten jenseits der 400 km/h ist ein ausgewogenes und sicheres Fahrverhalten entscheidend. "Nur wenn die Anströmung der Karosserie an der Front perfekt verläuft, bleiben störende Turbulenzen gering und die Luft umströmt sauber die Karosserie", sagt Frank Heyl, Deputy Design Director bei Bugatti.
Um die Turbulenzen an der Seite bestmöglich zu minimieren, integrierte das Team an der Front neu entwickelte Air Curtains - zwei flügelartige Profile - die die Luft optimal um die Ecke führen. Gleichzeitig sorgen die Air Curtains dafür, dass die Luft so lange wie möglich eng die Karosserie entlang strömt und das Fahrzeug somit stabilisiert. Dadurch sinken die Druckverluste und der Widerstand. Zusätzliche Auslässe an den vorderen Radläufen helfen, die Aerolasten weiter auszubalancieren.
Ebenso entscheidend für eine ausgeglichene Balance bei hohen Geschwindigkeiten ist eine ideale Durchströmung der Luft durch den Vorderwagen. Dabei muss die ideale Luftmenge durch die Kühler fließen, um ausreichend Kühlluft für den 8,0-W16-Motor bei Volllast bereitzustellen. Der Luftmassenstrom durch die Wasserkühler liegt beim Chiron Super Sport etwa 8 Prozent höher als beim Chiron, um einen thermisch perfekten Lufthaushalt zu gewährleisten.
Zudem fließt ein Großteil des hohen Massenstroms mit einer hohen Austrittsgeschwindigkeit durch die neuen Air Curtains. Im Top-Speed-Modus stehen die Frontdiffusoren flacher und leiten weniger Luft in die Radhäuser.
Die neun Luftauslässe auf den vorderen Kotflügel zitieren stilistisch den Supersportwagen der 1990er-Jahre, den Bugatti EB 110. Beim Chiron Super Sport werden die vorderen Radhäuser durch neun ebenfalls zylindrische Luftauslässe entlüftet. Mit den zylindrischen Luftauslässen vermeidet Bugatti, dass der Staudruck in den Radhäusern den Chiron Super Sport vorne anhebt.
So erzeugt dieses Bauteil Abtrieb, ohne dabei zusätzlichen Widerstand zu erzeugen - wie das bei einem zusätzlichen Spoiler der Fall wäre. Nominell erzeugen diese Entlüftungen etwa 20 bis 30 Kilogramm zusätzlichen Abtrieb bei 380 km/h.
Die neun zylindrischen Luftauslässe ragen etwa 30 Millimeter nach unten durch den Kotflügel und sind durch ein spezielles Carbon-Luftleitteil mit dem Radhaus verbunden. Dies sorgt für eine optimale Abströmung und verhindert dabei, dass Steine durch die Entlüftung nach außen gelangen. Gleichzeitig unterstützen die neuen Kotflügel eine bessere Bremsenkühlung.
Wie bei einem Kamin zieht ein Unterdruck der auf der Karosserie vorbeiziehenden Strömung die Luft aus den Radhäusern. Zudem wird die Luft durch spezielle Entlüftungsschächte hinter den Vorderrädern aus den Radhäusern gesaugt. Stilistisch sind dies Elemente hinter den Vorderrädern wie Kiemen angeordnet.
Die rund vier Kilogramm leichten Kotflügel entstehen in Handarbeit aus Sicht-Carbon, bei der die Fasern über die Kanten laufen. Jeder der neun zylindrischen Entlüftungen besitzt eine andere Größe. Aus ästhetischen Gründen sind die sichtbaren Radien identisch.
Beim ersten Blick auf den Chiron Super Sport fällt das um 23 Zentimeter verlängerte Heck auf, der sogenannte Longtail. Bei hohen Geschwindigkeiten sorgt es dafür, dass die über- und unterhalb des Fahrzeugs strömende Luft am Heck ein möglichst kleines Ablösegebiet erreicht.
Um ein Gleichgewicht zwischen Abtriebs- und Auftriebskräften zu erzielen, stimmt Bugatti unter anderem Heckflügel und Diffusor genau aufeinander ab. Dazu vergrößert man den Querschnitt des Diffusors. Dadurch rückt die Abrisskante des Diffusors weiter nach oben, sodass das Abrissgebiet am Heck minimiert wird. Damit werden die dort entstehenden Verluste und somit der Windwiderstand entscheidend reduziert - denn der bremst ein Fahrzeug ab.
Im Handling-Modus erzeugt das um 23 Millimeter verlängerte und damit um 8 Prozent größere Flügelblatt des Heckflügels im Zusammenspiel mit dem größeren Diffusor eine deutlich verbesserte Wirkung der Airbrake.
Im Top Speed-Modus dagegen fährt der Heckflügel fast vollständig ein: Somit kommt das Longtail-Konzept voll zur Geltung und die laminare Strömung kann sauber über die volle Länge der Außenhaut an der Karosserie anliegen, bis sie definiert am Heck abreißt. Das reduziert den Widerstand erheblich.
Fotostrecke: Technik: So schafft der Bugatti Chiron Super Sport 440 km/h
"Im Top-Speed-Modus erzeugt der Chiron Super Sport nur minimalen Widerstand, ist damit perfekt austariert und so aerodynamisch effizient wie nur technisch möglich", sagt Frank Heyl. Ziel war es bei Geschwindigkeiten jenseits der 400 km/h Abtrieb und Auftrieb genau in der Waage zu halten. "Der Super Sport erzeugt gerade eben genug Abtrieb, um jenseits der 400 km/h neutral zu sein. Das ist bei der Geschwindigkeit essentiell, um die Reifen nicht zu überlasten", so Frank Heyl weiter.
Um bei Geschwindigkeiten jenseits der 400 km/h möglichst wenig Widerstand und viel Fahrstabilität zu erzeugen, konzipierte Bugatti den Diffusor unter dem Chiron Super Sport neu. Durch das verlängerte Heck erhöht sich die Länge des Diffusors um etwa 23 Zentimeter. Um die Wirkung des Diffusors zu erhöhen und ihm mehr Platz zu geben, versetzt Bugatti die sonst mittig liegende Abgasanlage nun übereinander liegend an die Seiten.
Die je zwei Endrohre werden dabei übereinander positioniert, um so wenig wie möglich effektive Fläche vom Diffusor zu reduzieren. Dadurch vergrößert sich insgesamt die Fläche des Diffusors um 32 Prozent im Vergleich zum Chiron.
Eine Besonderheit stellen die beiden Abgasblenden dar. Mittels Titan-3-D-Druck entsteht eine extrem dünne Doppelwandstruktur, teilweise mit einer Wandstärke von nur 0,4 Millimeter und damit hart an der Grenze des technisch Machbaren. Stabilität verleiht dem Bauteil eine Gitterstruktur (Lattice-Struktur), die außerdem Platz für Luftstromkanäle bietet.
Um die Höchstgeschwindigkeit von 440 km/h zu erreichen, steigert Bugatti die maximale Leistung des 8,0-W16-Antriebs auf 1.177 kW (1.600 PS) - ein Zuwachs von 100 PS. Für mehr Agilität dreht der Antrieb 300 Umdrehungen pro Minute höher, nun auf ein Nennleistungs-Plateau von 7.050 bis 7.100 Umdrehungen pro Minute. 1.600 Newtonmeter Drehmoment liegen jetzt von 2.250 bis 7.000 Umdrehungen an statt bisher bei bis 6.000 Umdrehungen.
Für die Leistungssteigerung entwickelten die Ingenieure viele Bauteile neu: So übertragen stärkere Kolben die Kraft der 16 Zylinder, die Ölpumpe fördert dank einer härteren Druckregelfeder mit einem höheren Öldruck nun mehr Schmierstoff zu den einzelnen Stellen wie Kurbelwelle, Ventil- und Kettentrieb, Nockenwellenverstellung sowie Kolbenkühlung. Mehr als 140 Liter pro Minute fließen durch die Pumpe bei Volllast und Nenndrehzahl.
Die Leistungssteigerung und die höheren Drehzahlen führen zu einer Zunahme der Schwingungsanregungen, die den Kettenantrieb und den Ventiltrieb mit den vier Nockenwellen und 64 Ventilen stärker belasten. Für Dauerhaltbarkeit bei Höchstdrehzahl dimensioniert Bugatti daher unter anderem den Lagerbolzen der Kettenspannschiene neu, muss dafür auch den Zylinderkopf anpassen. Modifizierte Ventilfedern auf Federauflagen aus Stahl halten nun den höheren Beanspruchungen sicher stand.
Um aktuellen gesetzlichen Akustikanforderungen gerecht zu werden, verringern neue mehrlagige GFK-Akustikkettenkästen die Geräuschabstrahlung. Für einen besonders ruhigen Motorlauf sorgt unter anderem ein modifizierter Torsionsschwingungsdämpfer an der Kurbelwelle, der auf der Riementriebseite montiert ist. Zusätzlich passt Bugatti den Nebenaggregatetrieb mit Generator, Klimakompressor, Wasserpumpe und Tandem-Pumpe auf die höhere Drehzahl an.
Neben der Drehzahlerhöhung resultiert die gesteigerte Leistung aus optimierten und neu entwickelten Turboladern. Bei den vier Turbos kommt nun ein von 74 Millimeter auf 77 Millimeter vergrößertes Verdichterrad zum Einsatz, um die höheren Massenströme realisieren zu können. Das Turbinenrad wächst im Durchmesser von 64,4 auf 67,2 Millimeter, um die für den hohen Ladedruck notwendige Verdichter-Antriebsleistung bereitstellen zu können.
Bei Volllast strömen 4,8 Tonnen Luft pro Stunde durch die vier Lader. Durch eine Optimierung der Schaufelgeometrien erhöht sich der thermodynamische Wirkungsgrad, das Ansprechverhalten gleicht nahezu dem des Chiron.
Um die Höchstgeschwindigkeit von 440 km/h zu erreichen, erhält das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe eine neue Übersetzung. So wird der siebte Gang um 3,6 Prozent länger übersetzt als beim Chiron. Durch die gesteigerte Leistung schaltet das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe unter Volllast und voller Beschleunigung erst bei 403 km/h vom sechsten in den siebten Gang.
Von 0 auf 200 km/h beschleunigt der Chiron Super Sport in 5,8 Sekunden, auf 300 km/h in 12,1 Sekunden. Noch größer ist der Unterschied vom Sprint aus dem Stand auf 400 km/h: in nur 28,6 Sekunden erreicht der Chiron Super Sport die Geschwindigkeit.
Damit fährt er 12 Prozent schneller, oder ganze 4 Sekunden, als ein Chiron. Damit Insassen diese Zugkraftunterbrechung beim Schalten nicht spüren, wird die Ladedruckregelung in den Gängen noch feiner eingestellt. Selbst ab 6.000 Umdrehungen hört die Beschleunigung nicht auf und gibt dem Chiron Super Sport einen gewaltigen Schub bis 7.100 Umdrehungen.
Speziell auf Hochgeschwindigkeit und auf die neue Aerodynamik hin entwickelt Bugatti das Fahrwerk des Chiron Super Sport neu. So erhöhen die Ingenieure die Federrate an der Hinterachse um sieben Prozent im Vergleich zum Chiron, um den Chiron Super Sport bei Geschwindigkeiten jenseits der 420 km/h weiter zu stabilisieren.
Neu entwickelte und auf Topspeed optimierte Pilot-Sport-Cup-2-Reifen von Michelin bieten mehr Steifigkeit und Laufruhe bei Geschwindigkeiten über 420 km/h als beim Chiron. Dazu sind es die einzigen Pneus, die bis über 500 km/h getestet wurden. Nach der Produktion wird jeder Reifen in der Dimension 285/30 R20 ZR vorne und 355/25 R21 ZR hinten einzeln geröntgt, um selbst kleinste Unregelmäßigkeiten auszuschließen.
Um die ungefederten Massen weiter zu reduzieren, entwickelt Bugatti neue Fünf-Speichen-Aluminiumfelgen, die pro Radsatz vier Kilogramm weniger wiegen als die Räder des Chiron. Zudem sorgen sie für noch mehr Steifigkeit für Längsdynamik und passen daher ideal zum Chiron Super Sport. Optional bietet Bugatti einen Magnesium-Radsatz an, der im Vergleich zum Chiron 16 Kilogramm weniger wiegt und damit die ungefederten Massen an den Achsen weiter reduziert.
Bugatti fertigt den Chiron Super Sport am Stammsitz der Marke in Molsheim. Die ersten Fahrzeuge werden zu je 3,2 Millionen Euro (netto) Anfang 2022 an ihre neuen Besitzer ausgeliefert.
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